5959 Harley-km in 23 Tagen

Sie war längst überfällig, die grosse Tour, und zwar mit einem grossen Motorrad, so gut die Slim auch ist, für grosse Touren ist sie dann doch weniger geeignet. Früher Bitcoin-Neugier sei Dank gönnte ich mir das neueste Modell der Grand American Touring Familie, die Road Glide 2024, und fuhr am 11. Juni, meinem Namenstag, los. Olpe mit Kurzbesuch beim Bruder sollte die erste Station sein, am nächsten Tag ging es zügig weiter durch Belgien nach Amiens.

Ein schönes Städtchen erwartete mich dort abends und prompt packte mich durch die entspannte Atmosphere das Reisefieber.

Dazu gehört eben auch zügig weiterzukommen denn ich hatte einiges vor, die Idee war schon von Anfang an die Bretagne zu sehen und auch die Pyrenäen, evtl. auch die Côte d’Azur und ein bischen Alpen, nur die Richtung stand bis zur Abfahrt nicht fest und wurde, wie so oft und gern, vom Wetter abhängig gemacht. Die Wettervorhersage zeigte auf die Route gegen den Uhrzeigersinn. Also. next Stop: Saint-Malo.

Ich habe den Ortsnamen schon so oft gehört und letzlich hat die schöne Netflix-Serie „All the light you cannot see“ tatsächlich den Ausschag gegeben mir das einmal genauer anzusehen und 2 Nächte zu bleiben. … und die Lust auf frische Austern, die es am besten direkt im Hafen von Cancale gibt. Welch ein Frühstück!

Auf dem Hinweg fuhr ich bereits am berühmten und selbst von weitem schon eindrucksvollen Mont-Saint-Michel vorbei, auf einem der Bilder vom nun folgenden Weg nach Perros-Guirec auch zu entdecken. Ich fuhr also weiter zur Côte de Granit Rose, einem wunderschönen Stück Küste in der nördlichen Bretagne.

An der Geologie kam ich also doch nicht vorbei, und das war gut so denn die Reise sollte noch ein paar Überraschungen diesbzgl. auf Lager haben.

Das Wetter spielte bisher nicht ganz so mit wie ich mir das vorgestellt habe, daher versuchte ich es nach 2 Nächten in Perros-Guirec mit ausgiebigen Genuß der französischen Küche im Süden der Bretagne und fuhr nach Quiberon.

Un trio de crèmes brûlées

Dort erwarteten mich tatsächlich Holger und Silv, ich mietete mich in einem mobile home ein, was zufälligerweise (!) direkt neben deren stand. Die Ecke dort auf der Halbinsel war schön, der Ort auch soweit, aber das Wetter dann wieder nicht so. War es bisher eher zweitrangig, so wollte ich jetzt aber doch langsam mal etwas Wärme und Sonne und entschied, mich auf den Weg Richtung Süden und Pyrenäen zu machen. Das war eine Tour, die ohne Zwischenstop so einfach nicht entspannt möglich war und daher entschied ich mich für La Rochelle als denselben.

Das war eine sehr gute Wahl, welch‘ schöne Stadt! Das hätte ich nicht gedacht, ich dachte immer La Rochelle wäre eine von Hafenindustrie geprägte unsympathische Stadt, wie man sich täuschen kann! Da mussten es dann auch einmal die Moules-frites sein.

Nach angenehmer, kürzester Nacht des Jahres rief der V2 vom Hotelparkplatz und prompt ging es am nächsten Morgen weiter Richtung spanische Grenze, nach Bidart, Nähe Biarritz, wo ich Mitte der 80er einen der ersten Urlaube ohne Eltern machte.

Das hippe, teure Biarritz war nichts für mich, ich wollte eigentlich nur im Atlantik schwimmen und ein paar Tage chillen, weshalb ich mich für 3 Nächte in einem mobile home einmietete. Wieder schlugen die Regenwolken zu aber immerhin traf ich einen guten Arbeitskollegen mit seiner Freundin und ohnehin gab es fast jeden Abend Abwechslung in Form der Fußball-EM!

Ich erfuhr, daß am Strand von Bidart die K/T-Grenze (heute K-P-Grenze) aufgeschlossen ist, was ich natürlich näher ansehen musste. Fast alle lernen heute, daß die Dinosaurier durch einen Meteoriteneinschlag ausgestorben sind, mir hat man in der Uni beigebracht alles zu hinterfragen und wir haben im Geologie-Studium 13 verschiedene Theorien durchgesprochen, die das Massensterben der Saurier erklären könnten.

Ok, also kein Schwimmen im Atlantik, dann müssen es halt die Berge sein und die nahen Pyrenäenpässe lockten sehr dringlich, so fuhr ich also Montag morgens so schnell wie möglich in diese hinein Richtung Jaca als erste Zwischenstation!

Schnell bekam ich tatsächlich eine Horde der berühmten pyrenäischen Wildpferde zu sehen, wegen der ich fast eine Vollbremsung im Nebel machen musste (und die ich leider nicht fotografiert habe), gefolgt von einer riesigen Schafherde, die scheinbar nur von einem riesigen pyrenäischen Berghund in Schach gehalten wurde.

Atemberaubende, wilde Pässe und endlich wärmende Sonne sollten mir einen phantastischen Reisetag bescheren, von lustigen Festivitäten in der schönen Stadt Jaca abgerundet.

Der nächste Tag hatte es in sich, selten bin ich so viele spektakuläre Pässe hintereinander gefahren, mit dem Col du Tourmalet als einem der Höhepunkte.

Die bevorstehende Tour de France warf ihre Schatten voraus, auf etliche Fahrradfahrer galt es besonders zu achten, denn bergab erreichten sie teilweise Geschwindigkeiten, daß sich der Spieß etwas umdrehte und ich mich von denen gejagt fühlen musste!

Auch der Col d’Aspin befand sich auf meiner Strecke nach Vielha, ich habe dort mit meinem alten Freund Samir Kontakt aufgenommen, mit dem ich 1991 auf der grossen Exkursion durch die Pyrenäen so viel Spaß hatte und der mir schrieb, was er in seinem Feldbuch gefunden hatte (u.a. mein Feldbuch wurde mir ein paar Tage nach der Besteigung des Col d’Aspin damals in Lissabon gestohlen, aber das ist eine so lange Geschichte, dass ich wieder an das Buch erinnert werde, was ich immer noch schreiben möchte und auf welches ich an dieser Stelle verweise):

„Perm-Konglomerate in Coursening-up-Gradierung auf dem Gipfel. Äquivalent zur Permabfolge des Massif Central und Schwarzwald sowie dem Verrucano der Alpen. Im Liegenden davon Kohlenkalk und darunter Karbonschiefer.“ (Samir Onsa, 1991) – Herrlich, das war eine gute Zeit, das Geologie-Studium. Wir sind damals im Nebel auf den Gipfel gekraxelt und ich weiss noch, wie ich den Zehnkämpfer aus unserer Runde überholt und als erster oben angekommen bin! Davon gibt es auch noch Photos…

Noch mehr grenzüberschreitende Pässe durch wilde, menschenleere Bergregionen führten mich schliesslich nach Vielha, es wurde zunehmend unklarer wo man sich eigentlich befand, in Spanien oder Frankreich. Ein schöner Ort, das Essen gefiel mir aber längst nicht so gut wie in Frankreich, oder ich bestellte die falschen Dinge.

Ich entschied an einem Tag die Osthälfte der Pyrenäen zügig zum Meer zu durchfahren, Pässe bin ich nun gefühlt erstmal genug gefahren und ich wollte wirklich auch mal ein paar Tage am Strand chillen. Ausserdem musste ich langsam ein bischen auf die Uhr schauen, schliesslich hatte ich noch viele km Rückweg vor mehr und stressig durften jene keinesfalls werden. Also -> Roses, da war ich nah an Portlligat und Cadaqués, den Orten, an denen ich in den 80ern und 90ern so oft war. Es war klar, daß die Heimat des Marqués de Dalí de Púbol mittlerweile touristisch bis auf den letzten Millimeter ausgeschlachtet ist, so dass ich gar nicht erst versuchte dort eine überteuerte Unterkunft zu bekommen. Von Roses aus gelangte ich schnell dorthin.

Aber erstmal einen ganzen Tag schwimmen, relaxen…

Am nächsten Tag drehte ich eine entspannte Runde am Cap Creus, ich spare mir die kleinen Strässchen nachzuzeichnen, die Navi-Aufzeichnung hat auch versagt, jedenfalls kam ich an der Küste entlang fast bis zur französischen Grenze bei Colera.

Zur Rückkehr in Roses am Nachmittag erlebte ich zwei leichte Umfaller mit der Road Glide innerhalb weniger Minuten hintereinander, an und wegen der sehr schiefen Toreinfahrt zur Tiefgarage… Die 400 Kilo liessen sich bei 33 Grad C nicht alleine aufrichten, freundliche, hilsbereite Spanier waren sofort zur Stelle. Alles nochmal gut gegangen und das einzig eher problematische Vorkommnis bzgl. des Motorrads auf der gesamten Tour.

Es war klar, der Besuch des Dali-Museum im nahen Figueres am nächsten Tag war nach ca. 30 Jahren mal wieder Pflicht. Ich kombinierte den Besuch mit einer Übernachtung dort. Zu Dali gibt es wenig bzw. viel zu sagen, wer in der Gegend ist, dem sei ein Besuch des Museums unbedingt ans Herz gelegt, es ist schlicht spektakulär und für mich eine Reise in gute Erinnerungen an die 80er + 90er Jahre.

Dass Dali im Zentrum der Kuppel unter der schlichten, unbeschrifteten grauen Steinplatte begraben liegt, wissen die wenigsten und latschen entsprechend darauf herum. Ich war auch vor seinem Tod 1989 bereits dort und erinnere mich, dass man wusste, dass er dort in einem Raum neben der Kuppel an Maschinen angeschlossen liegt und vor sich hinvegetiert.

„Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft.“ – Salvador Dali

Zufrieden mit dem Bisherigen wollte ich am nächsten Tag zügig weiter, ich hatte was vor, auf einen Abstecher und Kaffee erst zu Peter in die Corbières und dann weiter zur Ardeche nach Saint-Martin-d’Ardèche. Eigentlich war die Côte d’Azur mit anschliessender Querung der Alpen auf dem Plan, das Wetter liess mich aber spontan umplanen und dank eines Hinweises von Bruder Michael die Ardeche ansteuern, da wollte ich eh immer mal hin!

Und das war ganz prima, ein schöner Ort und am nächsten Tag als Einstieg in die Gorges de l’Ardèche, den Grand Canyon Europas, sehr geeignet. Kennt man den Grand Canyon muss man ein wenig schmunzeln, nichtsdestotrotz eine wirklich sehenswerte Schlucht. Auf die Kanuten unten im Fluss konnte man angesichts der Temperaturen und Ausblicke neidisch werden, im Hochsommer wollte ich nicht hierhin.

Mich führte es auf dieser längeren Tagesetappe am Abend in den Hohen Jura, nach Saint-Claude, in die Nähe des Genfer Sees, noch auf französischer Seite. Pünktlich zur Ankunft regnete es recht stark, Abendessen -> EM auf mitgebrachtem Rechner per VPN -> Schlaf, eine Routine, die sich recht oft ergab auf dieser Reise.

Jetzt sollte es recht schnell gehen, allerdings dadurch nicht minder spannend und da war sie wieder, die Geologie, der Hohe Jura zeichnet sich durch seine moderate Faltung aus, die man auch an jeder Ecke bewundern kann.

Zunächst am schönen Genfer See entlang ging es einmal längs durch die Schweiz, die Route über Zürich hat mein zuverlässiger Harley-Navi wegen zu dichten Verkehrs rechtzeitig abgebrochen und mich überraschend noch einmal einen kleinen Schlenker in Richtung der hohen Zentralalpen hinein machen lassen. Das fand ich ganz grossartig! Den mir bisher unbekannten, aber herrlich in die Berge eingebetteten Walensee entlang und mal wieder über Liechtenstein erreichte ich irgendwann abends Ulm.

In Ulm, um Ulm und um Ulm herum war ich noch nie, daher war ich positiv überrascht, wie schön die Stadt sich trotz Regen präsentierte. Dennoch, es zog mich jetzt aus versch. Gründen heim, der zweitletzte Fahrtag brachte ich mich in mein vertrautes Pilsen und mein Lieblingshotel, das Hotel Slovan!

Es gab experimentelle Live-Musik im Park gegenüber des Hotels, was mir sehr gut gefiel und ich schlief wieder einmal gut und früh ein. Ich fahre wegen der toll ausgebauten Strassen gerne in Tschechien Motorrad, so auch dieses Mal. Dennoch sollte es nun am 23. Tag der Reise in einem Rutsch nach Hause gehen.

Das gerade in Karlovy Vary stattfindene Filmfestival hat mich zwar gereizt, ich liess es aber dennoch im wahrsten Sinne links liegen.

Mit den Beastie Boys laut auf dem Sound System ging es nun möglichst schnell durch Sachsen nach Hause, wo ich nach 5959,7 gefahrenen Kilometern und 115.8 gefahrenen Stunden glücklich und entspannt heile ankam.

Die nächste Tour wird hoffentlich nicht wieder so lange auf sich warten lassen!

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exafunk